Montag, 11. Juni 2012

Nähen

Die Nadel im Fingernagel



Nachdem ich nun endlich nicht mehr Sklavin meiner Schreibarbeit bin, genieße ich die freien Tage und kann mich nun endlich all den Dingen widmen, die ich seit Langem aufgeschoben und an die ich während nächtlicher Schreibpausen mit Wehmut gedacht habe. Ganz oben auf der Liste stand das Lesen von Büchern, die so absolut überhaupt gar nichts mit meinem Studium zu tun haben. Zudem wuchs der Inhalt meines Nähkorbs in den letzten Wochen stetig und quillt inzwischen schon über den Rand hinaus. Neben zahlreichen zu kürzenden Hosenbeinen für diverse Familienmitgliedern und den obligatorischen Ausbesserungsarbeiten, stand ein längst überfälliges Geburtstagsgeschenk für eine liebe Freundin ganz oben auf meiner To-Do-Liste. Letztes Jahr gab es ein paar Socken im pinkesten Pink. 


Dieses Jahr wird es eine von Frau Gretelies fantastischen Gretelies. Das ist inzwischen die fünfte dieser Taschen, die unter meiner Nähmaschine zusammengebastelt wird und inzwischen hat sich ein bisschen Routine beim Nähen eingeschlichen. Einen Zustand, den ich aufs allerherzlichste begrüße, da ich mir bei meinem ersten Versuch fast die Finger gebrochen habe. 
Meine Großmutter, die in ein paar Tagen ihren 84. Geburtstag feiert, ist eine begnadete Hobbyschneiderin. Sie hat ganze Ballkleider genäht. Sie erzählt mir immer wieder gerne die Geschichte, wie sie damals in ihrer Jugend an einer alten Pfaff saß und sich darüber ärgerte, dass die Nähte einfach nicht gerade werden wollten. Plötzlich nähte sie sich über den Finger, die Nadel blieb stecken und sie rannte weinend zu meiner Urgroßmutter. Diese erklärte ihr, dass eine solche Verletzung nur halb so schlimm sei und sie nun auch nähen könne. Und um meine Großmutter zu zitieren: "Von diesem Moment an konnte ich nähen!" Leider bin ich nicht romantisch genug um der Geschichte vollends glauben zu schenken, sonst hätte ich mir bereits mehrere Male in den gelverstärkten Fingernagel genäht. 
Als ich mich an die erste Tasche setzte, beschränkte sich meine Näherfahrung auf ein paar schiefe Kissenbezüge und zusammengenähte Hosenbeine. Die Nähmaschine war mir ein großes Rätsel und obgleich immer wieder versuchte zu verstehen, warum mit einem Mal alles stoppt, der untere Faden sich gefühlte 14 Billionen mal verheddert und die Nadel immer wieder abbricht, war ich kurz davor das  Ungetüm aus dem Fenster zu werfen. Selbst die Bestimmung der Nähgeschwindigkeit brachte mich fast um den Verstand - immerhin kann ich doch Autofahren, da müsste das Pedal einer Nähmaschine doch kein Problem darstellen. Doch weit gefehlt. Irgendwie wurde die Tasche dann doch fertig. 


Sie wurde an die allerbeste Freundin S.H. verschenkt, und diese musste sich wohl wie eine Mutter, die ein äußerst abstraktes Bild ihres Sprösslings im Kindergartenalter erhalten hat, gefühlt haben. (Auch der erste schlecht gestrickte Schal ging an sie ;-) ) Die Steppnaht war mehr schlangenförmig als gerade, die breite Spitze am Rand (aus dem über 40 Jahre alten Fundus meiner Großmutter) soll die schiefen Nähte verdecken und für die Henkel musste die Lederschürze meines Vaters herhalten. Inzwischen komme ich mit der Nähmaschine und den Gretelies immer besser zurecht und wenn die Unterfadenspannung mir mal wieder den Krieg erklärt kämpfe ich mich durch diese hilfreiche Seite - oder ich fädele solange neu ein, bis alles passt. 
 Wie gesagt ist nun die neuste Gretelies fertig geworden. Mädchenstoff deluxe von Tilda und ein schöner Futterstoff, den ich im Februar in Riga gekauft habe, machen sich morgen nun auf dem Weg zur neuen Besitzerin und ich hoffe, dass sie mir die anderthalbmonatige Verspätung doch noch verzeihen wird.







Miss P.







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